Snapchat oder Wie mich die Digitalisierung abhängte
Facebook-Chef Mark Zuckerberg bot schon vor Jahren drei Milliarden Dollar – und blitzte ab. Was steckt hinter Snapchat, dem sozialen Netzwerk, über das gerade alle reden? Ein Workshop für Anfänger. Von Christian Meier
Die Digitalisierung verlangt uns alles ab. Mit “uns” gemeint sind Medienmenschen, Marketingstrategen, Werber, Experten für dies und das, die jenseits der magischen Altersgrenze von 40 Jahren sind. Ständig gilt es, neue Apps herunterzuladen und auf den relevanten sozialen Medien präsent zu sein. Um zu posten, um zu liken, um den Horizont des digitalen Selbst zu erweitern. Unser Motto lautet: “Disrupt yourself” – stelle dich immer wieder selbst infrage.
Meine digitale Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Twitter und Facebook nutze ich regelmäßig, meine Profile bei Instagram und Pinterest vegetieren aber vor sich hin. Und jetzt auch noch Snapchat (Link: https://www.snapchat.com/l/de-de/) . Die App zum Austausch von Bildern, Videos und Botschaften, über die derzeit alle reden. Alle, also alle die, die in der Medienblase leben. Wobei, ich korrigiere. Soeben hat die Jugendzeitschrift “Bravo”, mir vor allem bekannt aus den 80er-Jahren, Ergebnisse eines “Youth Insight Panels” veröffentlicht. Demnach nutzen 35 Prozent der jungen Menschen zwischen zehn und 19 Jahren Snapchat, doch nur 32 Prozent in dieser Altersgruppe Facebook.
“Liebe Erwachsene: Nutzt es nicht!”
Wie um dieses Umfrageergebnis zu stützen, erklärte vor wenigen Tagen ein 14-jähriger Schüler auf der Konferenz Media Convention “Snapchat für Erwachsene (Link: https://re-publica.de/16/guestcontribution/snapchat-erwachsene) “. Dies erschien mir einleuchtend, denn installiert hatte ich diese App auf meinem Smartphone schon länger, genutzt habe ich sie dagegen bisher kaum. Wohl auch, weil es irgendwann hieß: Kapierst du eh nicht, musst du auch nicht. Ist für Teenies.
Eben dieser Teenie Joshua, zugeschaltet per Skype, erklärte rund 500 Menschen, die was mit Medien machen, worum es bei Snapchat geht. Seine Erläuterungen beendete er mit einem Ratschlag: “Jetzt, liebe Erwachsene, wisst ihr, was Snapchat ist. Tut uns Jungen nur einen Gefallen: Nutzt es nicht!” Oha. Dafür gab’s Applaus im Publikum. Wie geht also dieses Snapchat, von dem junge Menschen nicht wollen, dass wir ältere Herrschaften es nutzen? Und die dann begeistert sind, wenn ihnen ein 14-Jähriger sagt, sie sollen sich bloß raushalten?
Das gewisse Mitten-drin-Gefühl
Ich suche mir Hilfestellung auf der eben erwähnten Konferenz. Ein Workshop verspricht: “Endlich Snapchat kapieren – Hands on für Einsteiger (Link: https://re-publica.de/16/session/endlich-snapchat-kapieren-hands-einsteiger) “. Kixka Nebraska, die sich “Profilagentin” nennt und Menschen und Organisationen bei der Optimierung ihrer “digitalen Selbstdarstellung” berät, bietet die einstündige Fortbildung an. Mit mir im Publikum identifiziere ich zahlreiche offenbar ähnlich Ahnungslose. Und natürlich Journalisten. Wo ein Hype ist, sind wir zwar spät dran, dann aber verlässlich.
“Was zählt, ist das Mitten-drin-Gefühl”, sagt Frau Nebraska. Öffne ich die App, deren Logo ein kleines Gespenst ist, blicke ich auf meine Smartphone-Kamera. Ich kann ein Foto machen oder ein Video drehen. Klingt “drehen” eigentlich furchtbar alt? Ich fürchte ja. Sobald das aussagekräftige Foto oder das maximal zehnsekündige Filmchen gemacht ist, kann ich es beschriften, mit einem lustigen Gesicht oder Symbolbild verzieren oder selbst darin rumkritzeln. Das muss man lernen wie Vokabeln, meint die Profilagentin. Ich schreibe mit.
Drei Milliarden für gelöschte Nachrichten
Dann die große Frage: Schicke ich die Botschaft an einen meiner Snapchat-Freunde? Dieser bekommt einen Hinweis und kann sich meinen Gruß exakt einmal anschauen. Danach wird der Datensatz gelöscht, wohin auch immer gesteckt, ist jedenfalls nicht mehr abrufbar. Entscheide ich mich dafür, mein Werk mit dem Rest der Welt zu teilen, packe ich es in den Ordner “Meine Story”, eine Art virtuelles Tagebuch. Dann sind die jeweiligen Bilder und Videos ganze 24 Stunden sichtbar. Besonders Stars machen von der “Story” Gebrauch. Sie können mit wenig Aufwand ihre Fans die Illusion geben, sie seien nah dran an ihrem Leben. Die Nutzung von Snapchat sei förmlich explodiert, erzählt Kixka Nebraska, als die Macher die Story-Funktion verfügbar machten.
Gegründet wurde Snapchat bereits 2011 in Los Angeles von Evan Spiegel, 25, und Robert Murphy, 27. Wie bei so vielen digitalen Gipfelstürmern war der Erfolg nicht unbedingt vorhersehbar. Eine App zum Verschicken von Nachrichten, die sich von selbst löschen? Prompt wurde Snapchat genutzt, um Nacktfotos zu übermitteln. Innerhalb ziemlich kurzer Zeit wurde die App in den USA zum ganz heißen Ding, die Teenies liebten es, weil es eben anders war als Facebook. Im Herbst 2013 machte Facebook-Chef Mark Zuckerberg den Gründern ein Übernahmeangebot von drei Milliarden Dollar. Spiegel und Murphy lehnten ab. Als ein Jahr später rund 200.000 Bilder von Snapchat-Nutzern im Netz auftauchten, die eigentlich längst als gelöscht galten, sorgte das zwar für Aufsehen. Geschadet hat es der Firma nicht. Stattdessen wurde die Funktion Snapcash angekündigt, die einfaches digitales Bezahlen möglich macht.
Im Snapchat-Workshop geht es derweil voran. Wir sollen ein Selfie aufnehmen. Wer sich als Spaßvogel präsentieren möchte, kann sein Gesicht in einen Pandabären oder Hasen verwandeln. Man kann das als ironischen Verweis deuten, dass der Mensch in sozialen Netzwerken eine ganz eigene Identität annimmt. Man kann das aber auch bleiben lassen. “Sehen und gesehen werden”, sagt die Profilagentin zu ihren Schülern, sei die Essenz von Snapchat. Im Übereifer frage ich nach, ob ich gleich mehrere Storys anlegen kann. Geht nicht, lautet die Antwort. Immerhin kann ich so nicht der Hybris erliegen, ich könne gleich mehrere Snapchat-Identitäten annehmen.
Macht Snapchat glücklich?
Inzwischen haben Medien und Werbewirtschaft Snapchat entdeckt. Sie wollen um jeden Preis dabei sein. US-Medien wie CNN, Buzzfeed, MTV und sogar National Geographic bieten eigens für Snapchat produzierte Inhalte an. Eine Statistik vom vergangenen Jahr bezifferte die täglich abgerufenen Kurzvideos auf zehn Milliarden. Eine Studie der Universität Michigan stellte die These auf, Snapchat mache seine Nutzer glücklicher als andere soziale Medien. Weil authentischer, weniger inszeniert. Es läuft also.
Profilagentin Kixka Nebraska wünscht zum Abschluss “Happy Snapping”. Ich wiederum wünsche meiner Sitznachbarin Glück, sie baut gerade ein Start-up auf und verspricht sich von Snapchat Aufmerksamkeit für ihr Produkt. Ich gehe weiter zur Re:publica-Konferenz, die zeitgleich stattfindet. Sascha Lobo hatte dort vor einem Tag die digitale Avantgarde definiert. Das seien diejenigen, die früher als alle anderen Snapchat nicht verstanden hätten. Guter Witz. Ich schaue nach, was es Neues bei Twitter gibt. Meinen ersten Snap mache ich später. Bestimmt.
Snapchat ist jetzt bestimmt eine der am meisten genutzte soziale Netzwerk und was ich jetzt gelesen habe ist nicht was Neues. Eine Tat aber, dass ich früher nicht wusste und dass ich sehr klug finde, ist was Zuckerberg gemacht hat. Er hat die große Erfolg dieses App vorausgesehen und ein großer Profit für sich selbst gemacht. Echt klug gedacht 😉
“Liebe Erwachsene: Nutzt es nicht!” Genau auf den Punkt! Keiner moechte, dass sein/ihr Vater ihre/seine Story sieht..waere voll peinlich :p